Therapiemöglichkeiten mit Botulinumtoxin A bei infantiler Zerebralparese(ICP)
von Dr. med. Gregor Schoenecker
Die infantile Zerebralparese beinhaltet u.a. verschiedene motorische Störungen, die als Folge einer Schädigung der unreifen Hirnstrukturen auftreten. Je nach Art und Ausprägung der Schädigung resultiert eine Stellung der Gelenke und eine Bewegungsfähigkeit, die vollständig oder teilweise der Willkürkontrolle entzogen sind. Typisch ist die Streck-, Adduktions- und Innenrotationsstellung der Beine und die Beuge-, Innenrotations- und Pronationsstellung der Arme. Ganze Muskelketten der Extremität unterliegen einer gekoppelten Bewegungsstereotypie, bei der gewisse Muskeln stark, andere dagegen kaum aktiviert werden. Aus dieser spastischen Tonussteigerung entsteht die Gefahr einer strukturellen Muskelverkürzung und nachfolgender sekundärer Schäden an Gelenken und Knochen. Bei jedem
Therapieansatz muß man im Kopf behalten, daß ein zentraler generalisierter Schaden mit der Folge einer generalisierten Bewegungsstörung vorliegt und das dieser zentrale primäre Schaden irreversibel ist. Die einzige therapeutische Möglichkeit besteht in der Modifikation der peripheren sekundären Auswirkungen. Der Funktionsgedanke spielt in Therapieprinzipien der verschiedenen konservativen und operativen Behandlungsverfahren eine immer größere Rolle, so daß zunehmend ganze Extremitätenabschnitte operativ und konservativ simultan behandelt werden. Dennoch greifen alle Therapien lediglich lokal in der Peripherie an und somit symptomatisch und nicht zentral kausal.
Die
therapeutischen Möglichkeiten und die Differentialindikationen, insbesondere der operativen Therapie unter funktionellen Gesichtspunkten, sind in dem Referat "Operative Therapien bei Zerebralparese unter funktionellen Gesichtspunkten" dargestellt. Im Folgenden soll nun der Stellenwert des Botulinumtoxin A in der Therapie der infantilen Zerebralparese (ICP) beleuchtet werden.
Pharmakologie
Botulinumtoxin wird von dem grampositiven Stäbchenbakterium Clostridium Botulinum gebildet. Es verhindert die Ausschüttung von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte. Seine Wirkung besteht in der Affinität zu Rezeptoren am terminalen Alpha-Motoneuron, durch die eine permanente Blockierung präterminaler Axonstrukturen
hervorgerufen wird.
In der Praxis bedeutet dies eine teilweise oder inkomplette Nervenfaserblockierung mit daraus folgender Lähmung und Atrophie der zugehörigen Muskelfasern.
Für den Patienten mit ICP resultiert daraus die Möglichkeit, einen spastisch überaktiven Muskel in einen teilweise schlaff gelähmten Muskel zu verwandeln. Dieser Vorgang wird allgemein als neuromuskuläre Blockade bezeichnet. Sie kann zu meinen durch die lang wirksamen Stoffe Alkohol, Phenol und eben auch durch Botulinumtoxin oder durch die kurz wirksamen Stoffe Succinylcholin und Popivaccain erzielt werden.
Die relativ lange Dauer der Wirkung einer einmaligen Injektion von Botulinumtoxin A erklärt sich durch den intrazellulären Mangel an Eiweiß spaltenden Enzymen, die das Gift in kleine, nicht mehr wirksame Fragmente spalten. Daneben wird die Reversibiliät der Wirkung durch die Regelhaft auftretende Aktivierung vorher inaktiver motorischer Einheiten gefördert.
Im Zusammenhang mit der Botulinumtoxin-Therapie bei der ICP sind bisher noch keine Berichte über eine Antikörperbildung in der Literatur veröffentlicht worden. Prinzipiell muß jedoch mit dem Auftreten von Antikörpern gerechnet werden, daß dieses Auftreten aus den Behandlungsindikationen der Erwachsenen-Neurologie bekannt ist.
Eine Alternative zum Botulinumtoxin vom Typ A stellen die Toxine vom Typ B, C, und F dar, die jedoch allesamt kürzer wirksam sind. Weitere Botulinumtoxin-Typen (D, E und G) sind bekannt, bisher jedoch klinisch sinnvoll nicht einsetzbar. Grundsätzlich sollte bei dem Auftreten von Antikörpern oder einem Nichtansprechen des Patienten auf die Botulinumtoxin-Therapie ein Wechsel von dem ein Handelspräparat zum anderen erwogen werden. Hierbei ist jedoch erhöhte Wachsamkeit geboten, da sich die beiden verfügbaren Präparate (Botox® und Dysport®) in ihren wirksamen Einheiten und damit in ihrer Dosierung unterscheiden. Eine Einheit Botox® entspricht in ihrer Wirkung etwa 3-5 Einheiten Dysport®, wobei dieser Umrechnungsfaktor bei höheren Dosierung nicht zu stimmen scheint, so daß sich der Anwender in jedem Fall an die Anweisungen des jeweiligen Herstellers halten sollte.
Indikationen
Die Indikation zur Injektion von Botulinumtoxin A bei Patienten mit ICP kann in der
- Prophylaxe einer drohenden funktionellen Bewegungseinschränkung
oder
- Funktionsverbesserung eines hypertonen Muskels bestehen.