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Infantile Cerebralparese

Operative Therapie bei infantiler Zerebralparese unter funktionellen Gesichtspunkten
von Dr. Gregor Schönecker 

Die infantile Zerebralparese ist als Syndrom definiert, das nach einer Hirnschädigung auftreten kann. Ein solcher Schaden ereignet sich in den meisten Fällen prä- oder perinatal und nur in ca. 10 % der Fälle postnatal. Zu den möglichen Ursachen zählen Entwicklungs-störungen des Gehirns, Intoxikationen, Stoffwechselstörungen, Infektionen, ischämische Insulte und traumatische Hirnverletzungen. Bei Neugeborenen sind vor allem die Frühgeburt, ein zu niedriges Geburtsgewicht und eine mögliche perinatale Hypoxie ursächlich für eine Zerebralparese verantwortlich. Zur Prävalenz der ICP wurde in einer Studie mit 54.000 Kindern ermittelt, dass im Alter von 7 Jahren 3,4 von 1.000 Kindern unter einer Zerebralparese leiden.

Das Krankheitsbild der Zerebralparese wird charakterisiert zum einen durch das Ausmaß der Extremitäten-Beteiligung und zum anderen durch die Art der motorischen Störungen. Typischerweise finden sich Tetraplegien mit motorischer Störung aller vier Extremitäten und weitgehender genereller Symptomatik, Diplegien, bei denen die unteren Extremitäten schwerer betroffen sind als die oberen, und Hemiplegien, bei denen nur eine Körperhälfte betroffen ist. Die spastische Tonuserhöhung ist der häufigste Typ der Bewegungsstörung. Daneben treten auch athetotische, ataktische oder Mischformen dieser Bewegungsstörungen sowie hypotone Bewegungsstörungen auf. Für den Patienten selbst steht die Kommunikationsmöglichkeit, das Bewältigen alltäglicher Aktivitäten, die Mobilität in der häuslichen und sozialen Umgebung sowie das Gehen im Vordergrund. Die jeweils individuellen Bedürfnisse des Patienten und seiner Angehörigen müssen im Rahmen der gesamten Therapieplanung unbedingt berücksichtigt werden.

Falls Operationen in das Therapiekonzept integriert werden müssen, ist neben der Indikation die Wahl des richtigen Operationszeitpunktes wichtig. Außerdem sollte ein gehfähiger Patient bereits ein relativ stabiles Gangbild aufweisen und ein Mindestalter von 4 Jahren erreicht haben, um im Rahmen der postoperativen Nachbehandlung kooperativ mitarbeiten zu können. Prinzipiell führen wir Operationen im Bereich der unteren Extremitäten einzeitig durch: alle Deformitäten oder Funktionsprobleme werden in einer Operation, also auch nur einer Narkose, korrigiert. Dadurch werden die kleinen Patienten so gering wie möglich belastet.

Probleme der unteren Extremität

Bei Problemen im Bereich der unteren Extremität ist immer zu berücksichtigen, dass alle Gelenke als Funktionseinheit beurteilt werden müssen. Bei Kindern mit Zerebralparese ist die häufigste Deformität in diesem Bereich der Spitzfuß. Er tritt als Folge der Tonuserhöhung des M. Gastrocnemius oder des M. Soleus oder dieser beiden Muskeln zusammen auf. Eine konservative Therapie des funktionellen Spitzfußes ist mittels Injektion von Botulinumtoxin vom Typ A möglich. Auf sie wird in dem Beitrag „Therapiemöglichkeiten mit Botulinumtoxin A bei infantiler Zerebralparese“ (8. 44) detailliert eingegangen.

Operativ erfolgt die Therapie des Spitzfußes durch eine Verlänge­rung der Achillessehne oder des Muskelbauchs des M. Gastrocnemius und des M. Soleus. Eine sog. intramuskuläre Verlängerung ist nur bis zu einem Spitzfuß leichten Ausmaßes (bis ~10°) möglich; ein höhergradiger Spitzfuß muss über eine Achillessehnenverlänge­rung korrigiert werden. Eine intramuskuläre Verlängerung führt zwar zu einer geringeren Kraftminderung des sog. push oft im Rahmen des Gangablaufes, aber auch zu höheren Rezidivraten. Für die Verlängerung der Achillessehne sind verschiedene Techniken beschrieben. Falls eine Korrektur im oberen und unteren Sprunggelenk mit Kapsulotomie notwendig ist, führen wir eine Z-förmige Verlängerung durch. Ansonsten ist die sog. perkutane Achillotenotomie im Sinne der Sliding-Technik über 3 kleine, hälftige Tenotomien durchzuführen.

Postoperativlegen wir einen Oberschenkelgips in Knie-Streck- und Neutral-Stellung im Sprunggelenk an, der 2 Wochen zu tragen ist; danach erfolgt für weitere 4 Wochen eine Ruhigstellung in einer dorsalen Oberschenkel-Lagerungsschiene. In Gips und Orthese darf die Extremität sofort nach der Operation belastet werden. Ab dem Ende der 6. postoperativen Woche beginnen dann die ersten Gehübungen, um den Verlust an Muskelfunktion oder -kraft so gering wie möglich zu halten. Bei kombinierten Eingriffen auch an anderen Abschnitten der Extremität ist das postoperative Procedere entspre­chend zu modifizieren.

Für den weiteren Behandlungserfolg ist die Funktion des M. Tibialis anterior entscheidend. Bei einer guten Funktion dieses Muskels und adäquater Fußhebung ist nach entsprechender krankengymnastischer Therapie ein gutes, weitgehend normales Gangbild zu erwarten. Bei einer Schwäche des M. Tibialis anterior sollte unterstützend eine das Sprunggelenk übergreifende Orthese oder eine sog. dynamische Unterschenkel-Orthese angepasst werden.

 
Komplikationen der Achillessehnenverlängerung sind in der Literatur beschrieben, jedoch relativ selten. Gefürchtet ist eine zu starke Verlängerung der Sehne mit der Folge des Hackenfußes. Dann stehen und gehen die Kinder im sog. Kauergang mit Hüft- und Kniebeugung durch die meist vorhandene Tonuserhöhung der Hüft- und Kniebeuger in Kombination mit einer Schwäche der Antigraviditätsmuskeln. Im Rahmen des Therapieplans und einer kombinierten Weichteilkorrektur auch im Bereich der Knie- oder Hüftbeuger ist die instrumentele und visuelle Ganganalyse zur lndikationsfindung sehr hilfreich.

 

Eine Klumpfußdeformität tritt häufig im Rahmen einer Hemiplegie auf. Bei Hemiplegikern kommt es nach anfänglicher Spitzlul3stellung unter Körpergewichtsbelastung gelegentlich auch zu einer Knick-Senkfuß-Deformität, dem sog. spastischen Plattfuß. Die Klumpfußdeformität tritt häufig in Rahmen einer Hemipleg auf. Bei Hemiplegigkern kommt es nach anfänglicher Spitzfußstellung unter Körpergewichtsbelastung gelegentlich auch zu einer Knick-Senkfuß-Deformität, dem sog. spastischen Plattfuß Die Klumpfußdeformität entwickelt sich über eine spastische Tonuserhöhung des M. Tibialis posterior,  M. Gastrocnernius bzw. M. Soleus in Kombination nur einer relativen Schwäche der peronäalen Muskulatur.

 

Therapeutisch ist hier von operativer Seite ein hälftiger Tibialis posterior Transfer auf die Lateralseite sinnvoll, der zu einer besseren Balance der hypertonen Muskelkräfte führt. Eine zu starke Verlänge­rung des M. Tibialis posterior oder ein vollständiger Transfer darf nicht durchgeführt werden, da die Gefahr besteht, dass sich ein ausgeprägter spastischer Plattfuß entwickelt. Gelegentlich - insbe­sondere bei Kindern mit einer spastischen Hemiplegie - sehen wir eine Hypertonie des M. Tibialis anterior mit der Folge eines Pes adductus oder supinatus, der ebenso wie am M. Tibialis posterior dann im Sinne des häufigen Sehnentransfers korrigiert werden kann. Die Operationsschritte des hälftigen Sehnentransfers korrigieren zum einen die Schwäche der Peronäal-Muskulatur auf der Fußaußenseite, zum anderen wird eine Uberkorrektur in die Valgusdeformität verhindert. Rezidive sind selten. Eine Kombination mit anderen Weichteileingriffen, wie z.B. der Verlängerung der Achillessehne, ist, falls notwendig, problemlos möglich. Eine knöchern fixierte Klumpfußdeformität muss dagegen unter Beachtung der Altersgrenzen auch knöchern korrigiert werden. Hier stehen verschiedene korrigierende Operationsschritte zur Disposition.

 

Postoperativ erfolgt nach dem Weichteileingriff erneut eine Gips-Ruhigstellung für 2 Wochen. Anschließend erfolgt für 4 Wochen eine Schienenbehandlung, unter der schon eine Stehbelastung beginnen kann. Ab dem Ende der 6. postoperativen Woche wird die Mobilisation zum Gehen durchgeführt. Auch hier ist, wie beim Spitzfuß, die Entscheidung für eine langfristige Schienenunterstützung zum Gehen abhängig von der Funktion des M. Tibialis anterior. Ist im Rahmen des hemiplegischen Gangbildes in der Schwungphase des Gangzyklus ein Anheben der Fußspitze vom Boden nicht möglich, ohne dass es zum zirkumduzierenden Gangbild oder Steppergang kommt, muss eine das Sprunggelenk übergreifende Orthese (AFO = ankle foot orthosis) angepasst werden.

 

Die Knick-Senkfuß-Deformität des Fußes spastischer Plattfuß kann zu mehreren Problemen führen. Häufig berichten die Patienten über Schmerzen im Mittelfußbereich sowie im Vorfußbereich bei einem sich entwickelnden HaIIux valgus. Sekundär kann es im Laufe der Zeit unter Körpergewichtsbelastung zum Bild des spastischen Hackenfußes kommen, der mit dem Kauergang kombiniert ist. In der Analyse der Fußfehlstellung ist durch die klinische und radiologische Untersuchung des Sprunggelenkes auszuschließen, dass eine Valgus-Fehlstellung des Fußes durch die Änderung der Achse im Bereich des oberen Sprunggelenkes bedingt ist.

 

Die traditionelle Korrektur des spastischen Plattfußes erfolgte über die extraartikuläre subtalare Arthrodese in der Technik nach Grice. Besser ist jedoch die Calcaneus-Verlängerungs-Osteotomie zu bewerten, da hierdurch die Gelenke des unteren Sprunggelenkes und der Chopart‘schen Gelenklinie nicht involviert werden und eine zukünftig normale Funktion dieser Gelenke möglich bleibt. Im Rahmen der Calcaneus-Verlängerungs-Osteotomie wird ein Beckenkammspan in den distalen Calcaneus lateral im Sinne der aufklappenden Osteotomie eingebracht, so dass die laterale Säule des Fußes verlängert wird und über die Anspannung der Plantarfaszie eine auf Richtung der medialen Säule mit Erhöhung der Längswölbung möglich wird. Langzeitergebnisse dieser Operation fehlen jedoch noch. Die Langzeitergebnisse von Weichteiloperationen zur Korrektur des spastischen Knick-Senkfußes sind katastrophal.

 

Postoperativ muss der Fuß nach diesen Maßnahmen für 6 Wochen unter Entlastung ruhig gestellt werden. Auch hier führen wir eine Gips-Ruhigstellung des Oberschenkels zunächst für 2 Wochen durch, für weitere 4 Wochen erfolgt dann eine Oberschenkel-Lagerungsschienen-Ruhigstellung, aus der heraus jedoch eine Mobilisation der Gelenke ohne Belastung gewährleistet ist. Zur Sicherung der Osteotomie wird ein Draht für 6 Wochen eingeführt, der zu Beginn der Belastungsphase am Ende der 6. postoperativen Woche nach radiologischer Kontrolle der knöchernen Heilung entfernt wird. In den meisten Fällen ist eine dynamische Schienenversorgung des Unterschenkels zur Verbesserung des Gangbildes notwendig. Sie schließt sich unmittelbar an die Phase der Ruhigstellung an.

 

Das sog. crouched-gait-Gangbild bei Zerebralparese kann durch die spastische Tonuserhöhung des M. lliopsoas und der Adduktorengruppe mit nachfolgender Hüftbeuge-Adduktionskontraktur, durch die spastischeTonuserhöhung der lschiocruralmuskulatur (Kniebeuger), durch eine Spitzfußdeformität oder eine Kombination all dieser Veränderungen hervorgerufen werden. Im Rahmen der klinischen Untersuchung müssen die einzelnen Ursachen abgeklärt werden. Eine Kontraktur der Kniebeuger durch Verkürzung der Hamstrings wird durch Messung des Poplitealwinkels objektiviert. Die Hüfte des Patienten wird hierzu in Rückenlage um 9O° gebeugt, dann wird das Knie zur maximalen Streckung extendiert. Normal ist hier eine freie Streckbarkeit des Kniegelenkes. Eine Minderung der Streckfähigkeit wird als Poplitealwinkel angegeben. Je größer dieser Winkel ist, desto stärker ist der Tonus der Hamstrings mit entsprechender Kniebeugekontraktur.

 

Eine Verkürzung der Kniebeugemuskulatur erfordert eine operative Verlängerung bei einer Kniebeugekontraktur > 15°im Stehen. Diese Muskeln können durch eine intramuskuläre Verlängerung oder eine Z-förmige Verlängerung der jeweiligen Sehnen korrigiert werden. Diese Operationen werden häufig in Kombination mit anderen Weichteileingriffen im Bereich der unteren Extremitäten durchgeführt. Postoperativ ist natürlich auch bei diesen Kombinationseingriffen eine Gips-Ruhigstellung und eine Oberschenkel-Lagerungsschienen-Versorgung notwendig.

 

Nach einer Verlängerung der Hamstringskann es bei einer Tonuserhöhung des M. Rectus femoris zu einer Verminderung der Kniebeugefähigkeit in der Schwungphase des Gangablaufes kommen, die als sog. stift galt pattern bezeichnet wird. Ähnlich wie bei der lnsuffizienz und Hypotonie des M. Tibialis anterior besteht hier die verminderte Fähigkeit, den Fuß in der Schwungphase vom Boden zu lösen, so dass die Fußspitze schleift und die Schuhe entsprechende Abnutzungserscheinungen aufweisen.

 

Um hier eine bessere Fuß- und Kniehebung zu erreichen, wird operativ ein distaler Rectustransfer durchgeführt, bei dem die Sehne des M. Rectus femoris von ihrem Ansatz am oberen Patellarpol abgelöst und entweder auf die Sehne des M. Sartorius medial oder auf die Faszia lata lateral aufgenäht wird. Der M. Rectus femoris ist ein Schwungphasenmuskel, der in der Schwungphase aktiv ist und ein Durchschlagen des Unterschenkels im Sinne der Flexion zum Oberschenkel hin verhindert. Er ist nicht wie die anderen Anteile des M. Quadriceps in der Standphase aktiv. Daher kann der Transfer dieses Schwungphasenmuskels eine bessere Knieflexion und damit einen besseren Gangablauf bewirken.

 

Auch diese Operation wird häufig in Kombination mit anderen Weichteileingriffen durchgeführt und erfordert eine vorübergehende Gips-Ruhigstellung. Zwei Wochen nach der Operation beginnen die Bewe­gungsübungen des Kniegelenkes, um ein Verkleben des Muskels nach dem Transfer zu vermeiden und ein gut funktionierendes Gleitlager zu schaffen. Freies Gehen unter Vollbelastung wird 6 Wochen nach der Operation erlaubt.